Der Mensch Matthias Rudolph
Ich bin 1976 in Bad Saarow geboren worden und zunächst in Fürstenwalde Nord aufgewachsen. Meine Eltern waren beide „Werktätige“ im VEB CTA und so hatten wir das große Glück, eine Betriebswohnung mit Ofenheizung und innenliegendem Bad in der Strausberger Str. beziehen zu dürfen. Da gab es ausreichend Platz für uns alle – bis dann 1981 mein Bruder auf die Welt kam. Ab da musste ich mir ein Zimmer mit ihm teilen, was nicht immer ohne Streitereien funktionierte. Mit 7 wurde ich eingeschult – in die POS I „Werner Seelenbinder“. Damals war meine Mutter abends öfter mal unterwegs zu irgendwelchen Sitzungen. Ich habe das nie wirklich so richtig verstanden. Heute weiß ich, was das für Sitzungen waren. Meine Mutter, Carola Rudolph war damals Mitglied der Stadtverordnetenversammlung in Fürstenwalde für die LDPD.
Ein Kind der Wende
6 Jahre später kam die Wende. Den ersten Sonnabend nach dem Mauerfall werde ich nie vergessen. Normalerweise war es ein Schultag, aber ich glaube an diesem Tag war kein Kind wirklich in der Schule. Ich jedenfalls nicht. Ich war in Berlin, im Westen, zum ersten Mal. Plötzlich war alles anders. Das Schulsystem wurde jedes Jahr irgendwie geändert, Sonnabend war kein Schultag mehr, meine Schule wurde zu einem Gymnasium und nun musste entschieden werden, ob es der Abschluss der 10. Klasse werden sollte oder das Abitur. Ich habe mich für das Abitur entschieden. Zwischenzeitlich stand noch der Umzug nach Fürstenwalde Süd an, wo ich fortan wohnte.
Basketball als große Leidenschaft
Mit der Wiedervereinigung hielten auch neue Sportarten Einzug in den Sportunterricht. Mein damaliger Lehrer Jens Voigt probierte so ziemlich alles mit uns aus. So kam es, dass er eines Tages mit einem Basketball in der Hand vor uns stand und uns erklärte, dass dies die Bälle sind, die man normalerweise in diese gusseisernen Ringe in der Halle wirft. Bislang hatten wir uns immer gefragt, wofür man die Dinger wohl wirklich braucht. Viele aus meiner Klasse waren fasziniert von diesem Sport und wenn die Frage kam: „Was wollen wir denn heute im Sportunterricht machen?“, war die Antwort meistens „Basketball spielen“. Das endete in der Idee von Jens Voigt einen eigenen Sportverein zu gründen, damit wir noch mehr Gelegenheiten zum Spielen und Trainieren hatten. Kurzum, es gab eine Reihe von Schülern die begeistert von der Idee waren und so kam es dazu, dass ich 1992 Gründungsmitglied der „Wood Street Giants“ wurde. Bis zum Ende meiner Schulzeit wurde ich nicht nur Spieler, sondern auch Trainer diverser Mannschaften und Schiedsrichter.
Ein freiheitlich denkender Jugendlicher
Ab der elften Klasse wechselte ich zum Geschwister-Scholl-Gymnasium. Die Klassen wurden (mal wieder) komplett neu zusammengewürfelt und plötzlich gab es Kurse. Kein Mensch wusste damals wie das alles funktionieren sollte, nicht einmal die Lehrer hatten einen wirklichen Plan. Jedenfalls musste man für das Abitur nun nicht mehr 12, sondern 13 Jahre die Schulbank drücken. In dieser Zeit wurde ich erneut (aber doch unbewusst) politisch geprägt. Viele meiner Klassenkameraden fühlten sich linken Gruppen zugehörig, ich war eher liberal und habe dieses Lagerdenken nie so richtig begriffen. Wahrscheinlich hing meine Einstellung auch mit meiner Tante zusammen, Waltraud Rudolph, eine sehr beliebte Lehrerin in Fürstenwalde Nord. Sie war zu der Zeit Stadtverordnete der FDP in Fürstenwalde und Mitglied des Kreistages.
Endlich 18 und bald das Abitur in der Tasche
1994 stand der lang ersehnte 18. Geburtstag an. Ich durfte endlich meinen Führerschein machen und durch die Verwandtschaft kam ich zu meinem ersten Auto – ein Trabant Kombi. Endlich nicht mehr mit dem Fahrrad im Regen nach Bad Saarow zur Freundin fahren, mit Freunden zur Disko im eigenen Auto. Selbständigkeit. Mobilität. Ein tolles Gefühl.
Dann kam 1996 nach dreizehn Jahren das Abitur und mit ihm der letzte Schultag. Endlich. Ich hatte das Vergnügen von meinem Jahrgang ausgewählt worden zu sein, diesen letzten Schultag zu „moderieren“. Einige waren der Meinung, ich könnte gut reden und hätte keine Scheu, mich mit den Lehrern „anzulegen“. Recht hatten sie, aber in die Politik wollte ich trotzdem nie, wie mir doch viele immer wieder nahelegten.
Als Zahlenmensch, der Mathematik und Informatik liebt, zog mich die Wirtschaft viel mehr an. Das Planspiel Börse von der Sparkasse, damals noch ganz neu, weckte in mir die Faszination für die Finanzwelt. Aber erst mal hieß es, Abschied nehmen von den Klassenkameraden. Die meisten zog es weg aus Fürstenwalde, manche weiter weg, viele nach Berlin. Es gab hier in Fürstenwalde einfach nicht genug Möglichkeiten. Sehr viele sind nicht wieder zurückgekehrt. Leider.
Wehrdienst als Fallschirmspringer bei Bremen
Ich musste wegen der Bundeswehr Fürstenwalde verlassen. Aus unerfindlichen Gründen war man der Meinung, dass ich mich als Fallschirmspringer ganz gut machen würde, also schickte man mich nach Wildeshausen bei Bremen. Ich hatte kurz überlegt den Wehrdienst zu verweigern, entschied mich dann aber doch dafür die Sache mit dem Militär mal auszuprobieren. So lernte ich putzen, Wäsche zusammenlegen, Liegestütze, Zeit totschlagen, aber auch den Umgang mit und Respekt vor Waffen, sich unterzuordnen, Kameradschaft, LKW fahren und nicht zuletzt das Fallschirmspringen. Der erste Sprung aus dem Hubschrauber, ein unvergesslicher Moment.
Klares berufliches Ziel vor Augen: Börsenhändler
Bei allem verlor ich allerdings nie mein Ziel aus den Augen. Ich wollte Bankkaufmann werden und irgendwann an der Börse handeln. Also bewarb ich mich bei verschiedenen Banken in den alten Bundesländern und die Commerzbank in Essen schien einen „Quotenossi“ ganz gut gebrauchen zu können. Dort bot man mir an, auch gleich noch ein Studium der BWL zu machen, was ich gern annahm. Die erste eigene Wohnung alles ganz allein, ohne Familie ohne Freunde in einer fremden Stadt. Also verfeinerte ich meine Skills im Putzen, lernte Kochen, Wäsche waschen und Bügeln. Was war ich froh als ich endlich einen Laden gefunden hatte, der für einen einigermaßen erträglichen Preis meine Hemden bügelte und ich das nicht mehr selbst machen musste. Die Ausbildung schloss ich als einer von zwei Azubis von insgesamt 47 mit der Note eins ab. Ich glaube noch immer, dass man in der Commerzbank reichlich überrascht darüber war, dass die „Ossis“ doch nicht so blöd sind, wie man immer dachte. Trotzdem wollte man mich nicht an die Börse lassen und so kam ich zu einer Tochter der WestLB, in der ich die Grundlagen für Optionen, Futures, Swaps und andere Derivate lernte. Ich beendete mein Studium mit einer Diplomarbeit über Wetterderivate und ihre Anwendung und machte eine weitere Ausbildung zum Börsenhändler der Deutschen Terminbörse EUREX.
Da mich auch die WestLB nicht an die Börse ließ, nutzte ich meine Kontakte nach Luxemburg und wechselte zu einer Privatbank im Nachbarland. Zweieinhalb Jahre war ich nun damit beschäftigt, in der neuen Bank ein Abwicklungssystem für Derivate auszuwählen, einzuführen, anzupassen und Kollegen im Umgang damit zu schulen. Nachdem diese Aufgabe erfüllt war, ergab sich endlich meine Chance: ein Platz im Handel der Bank wurde frei, und ich ergriff die Chance sofort. Fortan war ich für den Handel mit Währungen, Aktien, Fonds, Optionen und Futures verantwortlich. Ich hatte mein Ziel erreicht. Innerhalb von nicht einmal 7 Jahren.
Zweifel über den Sinn der Finanzwelt
Aber dann geschah etwas, dass ich selbst nicht für möglich gehalten hatte. Ich fing an darüber nachzudenken, welchen Sinn dieser ganze Handel eigentlich für die Menschen hat. Ich fing an, das Banksystem in Frage zu stellen. Ich merkte, dass 90 % jeglicher Bankgeschäfte überhaupt nichts mit den Menschen zu tun hatten, denen sie eigentlich dienen sollten. Sie wurden und werden bis heute getätigt, um sich selbst zu dienen. Ich kann bis heute nicht genau definieren, was es war, aber ich spürte, dass mit dem System irgendetwas nicht stimmte. Als im Jahre 2008 die Finanzkrise ausbrach, Banken Pleite gingen oder gerettet werden mussten, wurde mir schlagartig klar, dass ich mit meinem Gefühl, die Bankenwelt verlassen zu müssen, genau richtig lag.
Zurück in meine Heimat: Fürstenwalde.
Jedenfalls entschloss ich mich 2005 zu kündigen, die Bank zu verlassen und mit meiner damaligen Partnerin zwecks Gründung einer Familie nach Fürstenwalde zurückzukehren. Viele aus meiner Familie und Freunde konnten nicht verstehen, dass ich einen so gut bezahlten Job einfach so aufgebe, ohne eine wirkliche Alternative in der Tasche zu haben. Aber ich stellte fest, es war eine Befreiung. Reserven waren vorhanden, ich hatte einiges an beruflichen und menschlichen Erfahrungen gewonnen, also packten wir die Sachen, suchten eine Wohnung in Fürstenwalde und sehr schnell wurde klar: Ich war endlich wieder zu Hause. 2006 kam dann meine wundervolle Tochter zur Welt und im selben Jahr wagte ich den Schritt in die Selbständigkeit als Finanz- und Unternehmensberater. 2011 vervollständigte mein Sohn die Familienplanung. Heute bin ich Baufinanzierungsvermittler und trage mit dazu bei, dass sich viele Menschen ihren Traum vom eigenen Häuschen verwirklichen können. Ich bin sehr froh, nach Fürstenwalde zurückgekommen zu sein und möchte auch in Zukunft mit meiner Familie hier leben. Außerdem möchte ich meinen Beitrag dazu leisten, dass auch andere junge Leute hier eine Perspektive haben.